MSC wirft Greenpeace Österreich Verbrauchertäuschung vor
Der MSC weist die Aussagen im jüngsten „Gütesiegel-Guide“ von Greenpeace Österreich vehement zurück. Greenpeace formuliert darin z.T. Falschaussagen und stellt wichtige Kontextinformationen nicht bereit. Darüber hinaus ist die Bewertungsmethodik dieser sogenannten „Analyse“ undurchsichtig, welche Methodologie der Bewertung der Siegel zugrunde liegt bleibt unklar. Gemessen an den von Greenpeace selbst aufgestellten Transparenzregeln, ist der „Gütesiegel-Guide“ als dunkelrot einzustufen: Absolut nicht vertrauenswürdig.
Der MSC-Standard ist der weltweit strengste Standard für nachhaltige Fischerei. Er ist wissenschaftsbasiert, dabei komplex und kompliziert. Denn für komplexe Probleme lassen sich nur selten simple Lösungen anbieten, auch wenn diese mehr Klicks und Zeitungszeilen bekommen. Zurück bleiben irregeführte Verbraucherinnen, die im Zweifelsfall zu konventioneller Ware greifen und diejenigen Fischereien „bestrafen“, die in umweltverträglichere Praktiken investiert haben. Ob den Meeren damit geholfen ist? Unserer Meinung nach nicht.
Lesen Sie im Folgenden unsere Antworten zu den im Greenpeace Siegel-Guide enthaltenen Vorwürfen und Falschaussagen zum MSC-Programm und zum Meeresschutz.
GP: „Die Zertifizierung wird zu früh im Prozess vergeben: teilweise an Fischereien, die zwar ein erstes Set an Standards erfüllen, aber darüber hinaus nur einen Aktionsplan für Verbesserungen in der Zukunft vorlegen“
Alle MSC-zertifizierten Fischereien arbeiten nachhaltig und müssen sämtliche 28 Nachhaltigkeitsindikatoren des MSC-Standards erfüllen. Wo es dennoch Potential für Verbesserungen gibt, erhalten zertifiziert nachhaltige Fischereien sogenannte Auflagen. Diese müssen sie innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums umsetzen.
Zertifizierungsauflagen sind eine übliche Vorgehensweise, z.B. auch in der Biozertifizierung. Sie sind ein integraler Bestandteil des MSC-Programms und ein wichtiger Hebel für kontinuierliche Verbesserungen auch bei nachhaltigen Fischereien. In den letzten 20 Jahren wurden durch Auflagen rund 2.000 Verbesserungen erwirkt – von zusätzlicher Beifang Verringerung über stärkere Kontrollen bis zu weiterführender Forschung. Ob eine Fischerei ihre Auflagen angemessen umsetzt, wird in jährlichen Audits überprüft. Erfüllt eine Fischerei ihre Auflagen nicht, wird das Zertifikat entzogen.
Weltweit stammen derzeit 15 Prozent aller Fänge aus nachhaltiger, MSC-zertifizierter Fischerei. Damit bewegt sich der MSC (nach fast 25 Jahren Bestehen) immer noch in einer Nische. Und es ist nicht mangelndes Interesse von Fischereiseite, das diesen Prozentsatz so niedrig hält, sondern die Höhe unserer Anforderungen.
GP: „Auch Fischereien, die mit Grundschleppnetzen den Meeresboden langfristig zerstören, können MSC-zertifiziert werden“
Eine Fischerei, die den Meeresboden nachhaltig schädigt, kann das MSC-Siegel nicht erhalten! Dies schreibt der MSC-Umweltstandard vor! Für die Bewertung der Nachhaltigkeit einer Fischerei macht es aber keinen Sinn, bestimmte Fanggeräte kategorisch auszuschließen. Es ist wissenschaftlich nicht korrekt, dass alle Grundschleppnetze zerstörerisch sind, genauso wenig wie alle anderen Fangeräte (Netze, Fallen, Reusen, Angeln etc.) per se gut und nachhaltig sind. Beispiel: Tatsächlich richtet schon der einmalige Einsatz eines Grundschleppnetzes auf Korallen einen Schaden an, der erst in vielen Tausend Jahren wieder heilt. Absolut nicht nachhaltig also. Werden Grundschleppnetze hingegen z.B. im östlichen Ärmelkanal eingesetzt, in einem Gebiet, in dem der Tidenstrom zweimal am Tag gewaltige Sandmengen umbettet, dann fügt die Fischerei dem an Störung angepassten System keinen messbaren und vor allem keinen langfristigen Schaden zu. Werden im gleichen Gebiet wiederum leichte Treibnetze eingesetzt, berühren diese zwar den Boden nicht, fangen dafür aber unter Umständen Delfine bei. Es ist also wahrscheinlich, dass in diesem Gebiet Grundschleppnetze die umweltfreundlichere Alternative sind.
Es gilt immer den Einzelfall zu betrachten, um Aussagen über die Nachhaltigkeit eines Fanggerätes zu treffen und genau das tut der MSC. Eine ganze Fangmethode pauschal auszuschließen würde bedeuten, vielen Fischereien den Weg und den Anreiz für eine nachhaltigere Arbeitsweise zu verbauen. 25 Prozent des weltweiten Fangs werden von Grundschleppnetzfischereien gefangen. Diese hören nicht auf zu fischen, nur weil Greenpeace sie verurteilt. Zielführender ist es, Fischereien Anreize zu setzen, ihre Auswirkungen auf die Meere zu minimieren und ihr Fanggerät ausschließlich auf nachhaltige Art und Weise einzusetzen.
GP: „Eine hohe Beifangrate ist kein Ausschlussgrund für MSC“
Kommerzielle Fischerei ganz ohne Beifang gibt es nicht. Eine MSC-zertifizierte Fischerei darf jedoch nur so viel Beifang haben, dass der Bestand der beigefangenen Art dadurch nicht gefährdet wird. Wie viel Beifang „akzeptabel“ ist, hängt von der beigefangenen Art und von der Größe ihres Bestands ab. Der Beifang von jährlich einem einzigen (bedrohten) großen Hammerhai kann kritisch sein, während der Beifang von über 1.000 Blauhaien (der weltweit verbreitetsten Hai-Art) im Jahr aus wissenschaftlich-biologischer unbedenklich sein kann. So zumindest die wissenschaftsbasierte Betrachtungsweise. Dass das aus moralischer oder emotionaler Sicht anders gesehen werden kann, ist uns bewusst. Damit müssen wir als wissenschaftsbasierte Organisation leben. Und verlangen deshalb von jeder zertifizierten Fischerei, ihren Beifang wo immer möglich auch unter das wissenschaftlich-biologische vertretbare Maß zu senken.
GP: „Es wird auch Fisch aus überfischten Beständen zertifiziert“
Diese Aussage ist falsch. Die MSC-Anforderungen erlauben keine Befischung eines überfischten Bestandes. MSC-zertifizierte Fischereien müssen einen Bestand so befischen, dass seine Ertragsfähigkeit langfristig gesichert ist. Einer zertifizierte Fischerei, deren Bestand in den roten Bereich abrutschen, wird das Zertifikat entzogen – so wie zum Beispiel vor nicht allzu langer Zeit den Dorsch- und Heringsfischereien in der westlichen Ostsee.
GP: „Das sogenannte „Finning“ ist bei MSC nicht gänzlich untersagt. Bei dieser Praxis wird Haien die Rückenflosse abgetrennt – manchmal werden die noch lebenden Tiere anschließend ins Meer zurückgeworfen“.
Diese Aussage ist falsch. Der MSC-Umweltstandard verbietet Finning klar und gänzlich. Fischereien, die Finning betreiben, können nicht zertifiziert werden. Sollte bei einer zertifizierten Fischerei ein Fall von Finning auftreten, werden die betroffenen Boote suspendiert.
Aktuell wird im Rahmen unserer turnusmäßigen Standardüberarbeitung außerdem geprüft, ob die derzeitigen Anforderungen weiterhin der weltweit Best Practice entsprechen und Finning bestmöglich verhindern.
GP: „83 Prozent des heute MSC zertifizierten Fisch stammt aus großen Fischereiflotten mit bis zu 150 Meter langen Industrie-Schiffen“.
Greenpeace nutzt hier die gängigen Antagonismen „groß/bedrohlich“ und „klein/harmlos“ zur unreflektierten Meinungsbildung. Tatsächlich wird die Nachhaltigkeit einer Fischerei jedoch nicht per se durch ihre Größe bestimmt. Entscheidend ist, dass Bestände und Ökosystem durch die Fischerei nicht gefährdet werden. Das können auch große Fischereien gewährleisten – sofern sie sich an die Regeln des nachhaltigen Fischfangs halten. Die großen Fischereien, die das MSC-Siegel tragen, tun das.
Gerade vor dem Hintergrund, dass es auf unseren Ozeanen – ganz unbestreitbar! – viele große Fischereien gibt, die die Fischbestände plündern und das Ökosystem gefährden, sollte es auch im Interesse von Greenpeace sein, dass wir mehr große Fischereien dazu bringen, strenge Nachhaltigkeitsanforderungen wie die des MSC-Siegels zu erfüllen.
Die Vorstellung einer Welt mit ausschließlich kleinen, handwerklichen Fischereien, wie sie Greenpeace möglicherweise vorschwebt, geht an der Realität vorbei. Um nachwachsende Fischbestände optimal für die Ernährung der Weltbevölkerung nutzen zu können, brauchen wir kleine und große Fischereien. Im Interesse der Umwelt müssen beide – groß wie klein – nachhaltig fischen.
Es stimmt, dass derzeit noch weniger kleine als große Fischereien das MSC-Siegel tragen. Denn kleine handwerkliche Fischereien, insbesondere in Ländern des Globalen Südens, stehen oft vor besonderen Herausforderungen in Bezug auf eine Nachhaltigkeitszertifizierung: ein Mangel an wissenschaftlichen Daten z.B. über die befischten Bestände, institutionelle Schwächen, fehlende Kontrollen und finanzielle Beschränkungen. Unser Engagement für kleine Fischereien geht deshalb weit über unser Zertifizierungsprogramm hinaus. In speziellen Förderprogrammen arbeiten wir derzeit mit über 100 kleinen Fischereien weltweit zusammen, um sie auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit finanziell, mit Forschung und mit Know-How zu unterstützen. Wir hoffen, dass sie eines Tages in der Lage sein werden, die anspruchsvollen Kriterien unseres Zertifizierungsprogramms zu erfüllen und das MSC-Siegel zu tragen.
GP: „Es fehlen soziale Faktoren bei der MSC-Zertifizierung. In einem Greenpeace Report wurde Zwangsarbeit auf FCF-Schiffen dokumentiert.“
Der MSC verurteilt den Einsatz von Zwangsarbeit und jegliche Form der menschlichen Ausbeutung in der Fischereiindustrie und den angeschlossenen Sektoren.
Bislang ist der MSC-Standard – wie viele andere Standards, etwa das EU-Bio-Siegel – in der Tat ein reiner Umweltstandard. Wir sehen jedoch die Bedeutung sozialer Fragen und suchen nach Kooperationsmöglichkeiten mit Organisationen, die in der Lage sind, einen Sozialstandard zu entwickeln, der den besonderen Herausforderungen einer Anwendbarkeit auf hoher See gerecht wird. Was Zwangsarbeit in der landbasierten Lieferkette betrifft, haben wir bereits klare Richtlinien definiert.
Was die Aussage betrifft, auf FCF-Schiffen sei Zwangsarbeit dokumentiert worden, bleibt zu klären, inwieweit es sich hierbei um MSC-zertifizierte Fischer handelt. Sollte es diesbezügliche Erkenntnisse geben, können wir Greenpeace nur eindringlich bitten, diese umgehend mit uns zu teilen, damit wir entsprechend reagieren können!
GP: „Mittlerweile tragen 65 bis 90 Prozent der Tiefkühl-Fischprodukte in den heimischen Supermärkten das MSC- oder ASC-Zeichen".
Weltweit stammen nur 15 Prozent aller Wildfischfänge aus nachhaltiger, MSC-zertifizierter Fischerei. Wir freuen uns, dass Österreich, die Schweiz und Deutschland in Sachen Nachhaltigkeit eine Vorreiterrolle einnehmen und Verbraucherinnen aus einem relativ hohen Anteil nachhaltiger Fischprodukte auswählen können. Dies reflektiert jedoch in keiner Weise die weltweite Situation.
Wir lassen derzeit eine unabhängige Markterhebung in Österreich durchführen und freuen uns, in Kürze genaue Zahlen zum österreichischen Fischangebot veröffentlichen zu können.
GP: "Obwohl die Fischbestände in den Meeren zu 90 Prozent als überfischt oder bis an die Grenze befischt gelten, zertifiziert MSC laufend neue Fischereien“.
Dass Greenpeace kritisiert, der MSC würde laufend neue Fischereien zertifizieren, ist nicht nur faktisch falsch, sondern aus Meeresschutz-Sicht vor allem eines: absurd. Zum einen steigt der MSC-Anteil am globalen Wildfischfang seit Jahren nur sehr langsam an (nach 25 Jahren liegt er aktuell bei 15%). Vor allem jedoch bedeutet jede einzelne Fischerei, die sich entscheidet, auf Nachhaltigkeit zu setzen, einen Gewinn für die Gesundheit der Meere – und nicht etwa eine Bedrohung. Greenpeace suggeriert, dass mehr zertifizierte Fischereien auch mehr Fischfang bedeuten. Das ist absurd. Mehr zertifizierte Fischereien bedeuten mehr nachhaltig arbeitende Fischereien – und das heißt: weniger Überfischung und besser geschützte Meere.
Irreführend ist auch die Aussage von Greenpeace, 90% der weltweit befischten Bestände seien „überfischt oder bis an die Grenze befischt“. Tatsächlich sind lauf FAO 34 Prozent der weltweiten Bestände überfischt – 66 Prozent sind in einem guten Zustand („biologically sustainable“).
Die Bestände, die Greenpeace als „an die Grenze befischt“ bezeichnet und mit den überfischten Beständen kurzerhand in einen „90 Prozent“ Topf wirft, haben also laut FAO – dem Urheber dieser Zahlen – eine gesunde Bestandsgröße und gelten als optimal genutzt.
Mit dieser Meinung weicht Greenpeace Österreich von der Sichtweise des MSC und vieler anderer im Meeresschutz engagierten Institutionen und Organisationen ab. Auch wenn bei Greenpeace Österreich keine Meereswissenschaftlerinnen arbeiten, ist doch davon auszugehen, dass den Siegel-Guide Autorinnen solche Fehler nicht versehentlich unterlaufen sind, sondern gezielt gesetzt wurden, um zu dramatisieren, zu polarisieren und Aufmerksamkeit zu erregen. Diese Art der Kommunikation halten wir für kontraproduktiv.
Differenzierte Auseinandersetzungen statt blinder Populismus
Der MSC ist von jeher als Multi-Stakeholder Organisation angelegt. Mitsprache-Möglichkeiten und Kritik aller relevanten Interessengruppen sind integraler Bestandteil unseres Programms. Auch Greenpeace haben wir bereits mehrfach eingeladen, sich an der Weiterentwicklung unseres Standards zu beteiligen. Was wir alle brauchen, ist eine sachliche und differenzierte Auseinandersetzung – mit den Problemen und Lösungsansätzen für unserer Ozeane ganz allgemein, aber auch mit dem MSC. Was niemandem hilft, ist blinder Populismus.