Überfischt, verschmutzt, versauert – die Meere, Seen und Flüsse geraten immer stärker unter Druck. Das ist auch in den Köpfen der Menschen angekommen: Vier von fünf Konsumentinnen und Konsumenten in Deutschland sorgen sich um den Zustand der weltweiten Gewässer, wie eine repräsentative Online-Befragung zeigt.
Wissenschaftler halten kompletten Fischverzicht für unnötig …
Müssen wir also auf Fisch und Meeresfrüchte verzichten, um sie besser zu schützen? Um hier Klarheit zu schaffen, befragten MSC (Marine Stewardship Council) und ASC (Aquaculture Stewardship Council) 28 Wissenschaftlerinnen und Experten von Universitäten und Institutionen im Rahmen der Initiative „Check deinen Fisch“. Die qualitative Umfrage ergab eine eindeutige Antwort: Nein. Ein vollständiger Verzicht auf Fisch ist nach Ansicht aller Befragten nicht nötig.
„Meere können durch die Nutzung der lebenden Ressourcen sogar besser geschützt werden als durch einen Nutzungsverzicht, denn bei einem Verzicht müssten die dann nicht genutzten 100 Millionen Tonnen Ertrag jährlich an Land produziert werden. Allein die Nährstoffe aus dieser Tierproduktion würden die Meere erheblich mehr belasten als eine nachhaltige Fischerei dies tut“, so Dr. Christopher Zimmermann vom Thünen-Institut für Ostseefischerei.
Dass die befragten Wissenschaftlerinnen einen Verzicht auf Fisch für unnötig halten, bedeutet jedoch im Gegenzug nicht, dass wir Fisch nun unbedacht und unbegrenzt essen sollten. Im Gegenteil, Fisch ist als Delikatesse anzusehen und sollte nicht täglich, sondern bewusst konsumiert werden. Wichtig ist es in jedem Fall, beim Kauf von Fisch und Meeresfrüchten auf ihre nachhaltige Herkunft zu achten.
… Konsumenten sind hier unsicher
Anders als die befragten Expertinnen und Experten, von denen niemand meint, dass wir auf Fisch verzichten müssen, sind sich immerhin 43 Prozent der befragten Verbraucherinnen nicht sicher, ob man Fisch überhaupt noch essen kann oder denken, dass es nötig sei, auf den Konsum von Fisch zu verzichten, um die Meere wirkungsvoll zu schützen. Die jüngeren Menschen zwischen 18 und 29 Jahren denken sogar mehrheitlich so (57 %).
Doch nicht nur bei der Frage, ob man Fisch überhaupt noch essen darf, herrscht Verunsicherung in der Bevölkerung. Ein Teil der Konsumenten ist ebenso verunsichert, ob Aquakultur und Fischerei überhaupt nachhaltig sein können: Knapp ein Drittel fragt sich oder zweifelt, ob dies möglich ist. Die Befragten aus der Wissenschaft sind sich in dieser Frage hingegen sehr sicher: Aquakultur wie auch Fischerei können nachhaltig sein. 89 Prozent der befragten Expertinnen und Experten vertreten diese Meinung.
Mehrheit der Experten hält Fisch für ein ökologisch sinnvolles Nahrungsmittel
Drei Viertel der Wissenschaftler (75 %) sind außerdem der Meinung, dass Wildfisch ein ökologisch sinnvolles Nahrungsmittel ist, wenn man seine gesamte Ökobilanz betrachtet. Bei Zuchtfisch vertreten diese Ansicht 64 Prozent. „Ressourcenbedarf und Emissionen von Substanzen, Gasen und Energie sind bei der Aufzucht und dem Fang von Fischen sehr gering im Vergleich zu anderen Systemen der Erzeugung tierischer Proteine,“ sagt Dr. Uwe Brämick vom Institut für Binnenfischerei e.V.
Bei den Konsumentinnen und Konsumenten hat sich dieses Wissen bisher weniger durchgesetzt: Ein Viertel der Befragten denkt, Wildfisch sei kein ökologisch sinnvolles Nahrungsmittel, weitere 30 Prozent sind sich diesbezüglich unsicher. Zuchtfisch sehen etwas mehr als die Hälfte der Verbraucherinnen als ökologisch sinnvolle Nahrungsquelle.
Siegel bringen nichts – oder doch?
Siegel stehen immer wieder in der Kritik. Die Konsumentinnen- und Expertenbefragung zeigen aber: Die große Mehrheit findet, dass Nachhaltigkeitssiegel nützlich sind. Lediglich 7 Prozent der Expertinnen und 13 Prozent der Konsumenten und sind der Meinung, dass Siegel auf Fischprodukten nichts bringen. Es passt also, dass bei der Mehrheit der Befragten das MSC- und ASC-Siegel beim Fischkauf eine wichtige Rolle spielen: Gut acht von zehn Verbraucherinnen achten beim Fischkauf auf die beiden Siegel, bei den Experten sind es ähnlich viele (79 % bei MSC bzw. 71 % bei ASC).
Sachliche Aufklärung dringend notwendig
In Bezug auf das Thema Meeresschutz und Überfischung sind 71 Prozent der Expertinnen der Ansicht, dass das MSC-Siegel hier einen wichtigen Beitrag leistet – ähnlich viele sind es bei den Konsumenten. Was das Ausmaß der Überfischung betrifft, so schätzt dies jedoch nicht mal einer von zehn Verbrauchern richtig ein: Während nach wissenschaftlichen Daten derzeit 34,2 Prozent aller Fischbestände überfischt sind (FAO), denkt mehr als ein Drittel der Verbraucherinnen, über 60 oder sogar über 80 Prozent der weltweiten Fischbestände seien überfischt. Weitere vier von zehn Befragten wussten gar keine Antwort auf die Frage nach der Überfischung der Meere.
Auch in Bezug auf die Aquakultur kursieren Falschinformationen, die die Menschen verunsichert zurücklassen. So wird häufig behauptet, dass für die Produktion von einem Kilogramm Zuchtlachs fünf Kilogramm Wildfisch benötigt werden. Das scheint sich bereits in den Köpfen festgesetzt zu haben: Denn ein Drittel (32 %) der befragten Konsumentinnen und Konsumenten denkt, dass drei bis fünf oder sogar mehr als fünf Kilo Wildfisch für das Futter von Zuchtlachs verwendet werden. Weitere 41 Prozent wissen auf die Frage gar keine Antwort. Richtig ist: Heute wird oft nur noch rund 1 Kilo Wildfisch als Futtermittel pro Kilo Zuchtfisch benötigt, oftmals sogar darunter. Laut FAO ist der Einsatz von Fischmehl und -öl in der Aquakultur eindeutig rückläufig. Insbesondere bei der Zucht von Lachs und Garnelen haben ASC-zertifizierte Betriebe die Zusammensetzung des Futters optimiert und den Anteil von Fischmehl und -öl deutlich reduziert.
ANMERKUNGEN ZUR UMFRAGE
Bei der Konsumentenbefragung handelt es sich um eine repräsentative Online-Befragung von 1.000 Personen über 18 Jahren in Deutschland, die im Auftrag von ASC und MSC vom Meinungsforschungsinstitut Insa-Consulere im Juli/August 2021 durchgeführt wurde.
Zusätzlich zur Konsumentenbefragung haben wir eine qualitative Survey Monkey Befragung unter 28 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern
von über 20 renommierten Institutionen und Universitäten zum Thema
durchgeführt. Zu den befragten Personen gehörten Vertreterinnen und
Vertreter von u. a. dem Thünen-Institut, den Universitäten Hamburg und
Rostock, dem Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung, der
Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei und dem
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit
(BMU). Die aggregierten Ergebnisse der Experteninnenbefragung wurden
anschließend mit den Ergebnissen der repräsentativen
Konsumentenbefragung verglichen.