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Von Emma Ackerley (MSC Science Communications Manager)

Von der Kartierung des Meeresbodens, zum Schutz gefährdeter Lebensräume, bis hin zur Erprobung von technischen Innovationen zur Beifangreduzierung – die Fischerei spielt eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, Daten zu erheben, um die biologische Vielfalt im Meer besser zu schützen.

Grund genug, den Blick auf jene Errungenschaften nachhaltiger Fischerei zu richten, die bereits positive Veränderungen in unseren Ozeanen bewirken und den Wandel vorantreiben.

Boat with large net suspended on calm sea

Ein australisches Fangschiff auf der Such nach indischer Garnele © Dylan Skinns / Austral

Die Fischerei gilt als eine der Hauptursachen für den Verlust der biologischen Vielfalt in unseren Ozeanen. Die Gründe reichen von Überfischung, dezimierten Fischbeständen und illegaler Fischerei bis hin zum unerwünschten Beifang von anderen Meeresbewohnern. Diese Problematiken stellen Fischer auf der ganzen Welt täglich vor Herausforderungen, während sie hart arbeiten, um die Weltbevölkerung zu ernähren, ihre Familien zu unterstützen und Existenzgrundlagen zu schaffen bzw. zu erhalten. Keine leichte Aufgabe. Doch die immer intensivere Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern, Regierungen und der Fischereiindustrie bringt innovative Lösungen hervor, um die Auswirkungen der Fischereiaktivitäten zu verringern und Reformen voranzutreiben. 

Beifang von Schildkröten um 99% reduziert

Ganze 771.000 Quadratkilometer an tropischen Gewässern umspannt das Fanggebiet der MSC-zertifizierten Garnelenfischer vor der Nordküste Australiens. Seit den 1990er Jahren setzen sich die Fischer aktiv für das Thema Nachhaltigkeit ein -und das mit Erfolg: So ist es ihnen gelungen, ihren Schildkrötenbeifang durch den Einsatz von speziellen Ausschlussvorrichtungen, sogenannten „Turtle Exclusion Devices“ (TEDs), um 99 % zu reduzieren. Die TEDs fungieren als Sortiergitter, die es den Schildkröten ermöglichen, unbeschadet ins Freie zu schwimmen, während die Garnelen im Netz verbleiben. Die Einführung der TEDs ist nur eine der Maßnahmen, die die Nachhaltigkeit der Fischerei illustrieren und dazu geführt haben, dass die Fischer 2012 das MSC-Zertifikat für ihre Garnelen erhielten. 

„Als Australiens größte Garnelenfischerei haben wir die Verantwortung, uns um die Meeresumwelt zu kümmern", sagt Annie Jarrett, CEO der Northern Prawn Fishery Industry Pty Ltd. „Seit der Zertifizierung haben wir kontinuierliche Verbesserungen vorgenommen, um die weltweit höchsten Anforderungen an ein nachhaltiges Fischereimanagement zu erfüllen."

Zu diesen kontinuierlichen Verbesserungen gehört auch die Zusammenarbeit mit lokalen Unternehmen wie Raptis Seafoods und Austral Fisheries, um neue Geräte und Vorrichtungen zur Beifangreduzierung zu entwickeln, zu testen und zu implementieren. Dadurch konnten die Beifangraten effektiv um 44 % reduziert werden und gleichzeitig ist es gelungen, Interaktionen der Fischerei mit gefährdeten Arten, wie beispielsweise Seeschlangen, weiter zu minimieren. 

Bei anderen Arten, wie beispielsweise dem Sägefisch, herrscht jedoch nach wie vor Bedarf an weiterführender Forschung zur Optimierung des Fanggeräts. „Es ist für Fischer sehr schwierig, ihre Netze so zu modifizieren, dass sich Sägefische nicht darin verfangen können. Das liegt daran, dass der Sägefisch über eine einzigartige, lang gezahnte ‚Säge‘ verfügt, das sogenannte Rostrum", erklärt Matt Watson, MSC Senior Fisheries Manager in Australien. „Vom Stellnetz bis zum Garnelentrawler – Sägefische verfangen sich leicht in den verschiedensten Fanggeräten. Deshalb ist es wichtig, dass Industrie und Wissenschaft zusammenarbeiten, um gemeinsam Lösungen zu finden."

Die australischen Garnelenfischer haben die Notwendigkeit erkannt, ihre Fangaktivitäten und Arbeitsabläufe zu verbessern, um die gefährdeten Sägefischarten besser zu schützen. Um effektive Lösungen zu entwickeln, arbeitet die Fischerei mit Forschern der Charles Darwin University und der australischen Regierungsorganisation CSIRO (Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation) zusammen.

Einer der Forschungsansätze bezieht sich auf den Einsatz von elektromagnetischen Feldern: Ziel ist es, herauszufinden, ob die Sägefische im Voraus vor dem Fischernetz gewarnt werden können, so dass sie rechtzeitig fliehen können. Parallel sammeln die Fischer an Bord auch Gewebeproben für genetische Studien und verwenden Unterwasserkameras, um zu sehen, wie das Fanggerät optimiert werden kann.

Nachhaltige Fischerei treibt Forschung und Innovation voran

Wenn Fischereien nach dem MSC-Fischereistandard bewertet werden, wird gründlich untersucht, welche Auswirkungen eine Fischerei auf das gesamte Ökosystem hat. Den meisten Fischereien, die eine Zertifizierung erhalten, werden Hausaufgaben“ auferlegt, die sogenannten Zertifizierungsauflagen. Diese Auflagen umfassen Verbesserungen, die die Fischerei vornehmen muss, um ihr Zertifikat behalten zu dürfen. Werden diese Verbesserungen nicht im geplanten Zeitrahmen umgesetzt, kann die Fischerei vom MSC-Programm ausgeschlossen werden. 

Ein Beispiel aus Großbritannien: Im Rahmen der MSC-Zertifizierung der Seehechtfischerei in Cornwall verlangten die Prüfer von der Fischerei, eine Managementstrategie zum Schutz von gefährdeten, bedrohten oder geschützten Arten zu entwickeln und umzusetzen. 

Die Fischerei konnte diese Auflage innerhalb von zwei Jahren erfolgreich erfüllen: Die Fischer setzten akustische Warnsignalgeber, sogenannte Pinger (dt. Vergrämer) an ihre Netzen und verbesserten die Datenerfassung durch Fischereibeobachter. Die Pinger senden unter Wasser akustische Wellen aus, die Meeressäugern und anderen Tieren signalisieren, dass sich Netze im Wasser befinden, was verhindert, dass die Tiere sich den Netzen nähern und sich darin verfangen. Die Gesetzgebung in Großbritannien schreibt den Einsatz der Pinger für einige Fischereifahrzeuge vor, die Seehechtfischerei in Cornwall, geht allerdings weiter als es die nationalen Vorschriften erfordern und schreibt die Pinger für alle Schiffe vor – also auch für jene Fischereifahrzeuge, die nicht unter die gesetzlichen Vorgaben fallen. Dadurch ist es der Fischerei gelungen, den Beifang von Schweinswalen um 80 Prozent zu reduzieren, und im Jahr 2019 verzeichnete die Fischerei sogar keinerlei Vorfälle mit Meeressäugern.

Close-up of fisherman reeling net with Fishtek Marine banana pinger"Banana Pinger" (in Gelb) senden unter Wasser akustische Signale aus © Fishtek Marine

Dieser Erfolg trägt weitere Früchte: Zusammen mit dem Cornwall Wildlife Trust und der Universität von Exeter beteiligen sich die Seehechtfischer nun an der Erprobung eines neuen akustischen Vergrämers namens „Fishtek Marine Banana Pinger", der von der Firma Fishtek Marine Ltd. entwickelt wurde. Die jüngste Forschungskooperation in diesem Zusammenhang umfasste eine achtmonatige Studie an Schweinswalen, die zeigen konnte, dass die Banana Pinger mit der Zeit nicht an Effektivität verlieren.

Ruth Williams, Naturschutzmanagerin beim Cornwall Wildlife Trust, dazu: „Die Ergebnisse zeigen, dass es eine praktische Lösung gibt, die sowohl effektiv ist als auch das Verhalten der Tiere nicht beeinflusst oder verändert – ein positives Ergebnis für den Naturschutz und die Fischer gleichermaßen." 

Gefährdete Arten über eine Smartphone-App erkennen

Nicht nur die Auswirkungen auf verschiedene Tierarten, sondern auch auf Lebensräume und Ökosysteme werden bei einer MSC-Bewertung berücksichtigt. Doch da bislang nur ein Fünftel des Meeresbodens von Wissenschaftlern erfasst ist, mangelt es an vielen Stellen noch an Kenntnis über gefährdete Lebensräume in unseren Weltmeeren.

Die Fischerei auf Tiefseegarnelen im dänischen und norwegischen Skagerrak hat 2018 dazu beigetragen, das zu ändern. Sie führte einen Verhaltenskodex für den Ozean sowie einen umfassenden Leitfaden ein, der Fischern hilft, verschiedene Korallen und Tiefseeschwämme zu identifizieren. Zu diesem Zweck mussten alle Fischereifahrzeuge Daten über unbeabsichtigte Fänge von gefährdeten, bedrohten oder geschützten Arten sowie über Interaktionen mit Arten, die als Indikatoren für empfindliche Lebensräume gelten, erfassen. Diese Daten lieferten bessere Anhaltspunkte für eine mögliche Verortung von empfindlichen Lebensräumen. Und heute helfen diese Daten den Schiffen dabei, diese Gebiete zu meiden. Die entsprechenden Koordinaten werden auf der Website der Danmarks Fiskeriforening Producent Organisation (DFPO) bereitgestellt. 

Die Fischerei leistet zusammen mit der Gemeinsamen Grundfisch-Fischerei der Nordsee (Joint Demersal Fisheries in the North Sea) und dem niederländischen Fischereiverband VisNed einen weiteren Beitrag zur wissenschaftlichen Forschung: Sie entwickeln eine mobile App, die Fischern hilft, Interaktionen mit gefährdeten Arten zu erfassen und zu protokollieren. Das Projekt wurde mit knapp 58.000 Euro (50.000 britischen Pfund) aus dem MSC Ocean Stewardship Fund  im Jahr 2020 gefördert, um die Entwicklung der App zu unterstützen.

„Unserer Erfahrung nach ist die zuverlässige und kontinuierliche Erfassung von gefährdeten, bedrohten und geschützten Arten eine Herausforderung, die ständige Aufmerksamkeit erfordert“, erklärt Wouter van Broekhoven, ehemaliger leitender Wissenschaftler bei VisNed. „Der Prozess kann sehr zeitaufwendig sein, Fischer können Arten falsch identifizieren oder Listen können an Bord verloren gehen – und dann ist die Dateneingabe wegen eines Wasserschadens unbrauchbar. Die Meereswissenschaft ist vollständig abhängig von qualitativ hochwertigen Daten, und wir glauben, dass die App eine große Verbesserung der Quantität und Qualität der Daten über die Auswirkungen der Fischerei auf und die Interaktionen mit gefährdeten Arten ermöglichen wird." 

Screenshots of smartphone app showing fish species and map

VisNed Smartphone-App Screenshots © VIsNed/Mads Dueholm

Das große Ziel: nachhaltig bewirtschaftete und produktive Ozeane

Um eine gut gemanagte Fischerei und den nachhaltigen Fang von Fisch und Meeresfrüchten zu gewährleisten, müssen die Ozeane mit all ihrer biologischen Vielfalt widerstandsfähiger und produktiver sein. 

Darum haben die Vereinten Nationen die Internationale Dekade der Ozeanforschung für nachhaltige Entwicklung ausgerufen. Diese startet Ende Juni 2021 mit dem Ziel,  die verstärkte Zusammenarbeit und einem intensiveren Datenaustausch im gesamten Meeressektor zu fördern.  

Denn: Nur wenn Wissenschaft, Industrie und Regierungen zusammenarbeiten, wird es unseren Ozeanen möglich sein, das Leben unter Wasser – ebenso wie das Leben an Land – bis weit in die Zukunft hinein zu unterstützen. 

Mehr Interesse an Biodiversität in den Meeren? Erfahre mehr über den jüngsten globalen Bericht der Vereinten Nationen zur Lage der biologischen Vielfalt.