Der MSC feierte am 10. Dezember seinen 20. Geburtstag. Auf einer Konferenz in Berlin sprachen aus diesem Anlass hochrangige Vertreter aus Politik, Umweltschutz und Wirtschaft über den MSC, über Erfolge und Schwierigkeiten, über Wünsche, Herausforderungen und Pläne für die Zukunft.
Dass noch viel zu tun ist, liegt auf der Hand: Die nachhaltige Befischung unserer Ozeane gehört, neben den Themen Mikroplastik und Klimawandel, zu den dringlichsten Aufgaben im globalen Meeresschutz. Dies haben zuletzt auch die Vereinten Nationen in ihrem Entwicklungsziel 14 „Schutz und nachhaltige Nutzung der Meere“ festgehalten. Dass der MSC eine wichtige, in mancher Hinsicht gar wegweisende Rolle beim Erreichen dieses Zieles spielte und immer noch spielt, steht für das Gros der Allianz aus Wissenschaft, Politik, Umweltschutz und Wirtschaft außer Frage. Nichtsdestotrotz steht auch Kritik im Raum.
Entscheidende Triebkraft für europäische Fischereipolitik und bewussten Konsum
„Dass sich der Begriff und die Idee von nachhaltiger Fischerei in den vergangenen Jahren fest den Köpfen der Menschen verankert haben, ist das Verdienst des MSC“, lobt Grünen-Politiker Robert Habeck. Auch der Politik habe der MSC den Weg gewiesen, so der schleswig-holsteinische Umwelt- und Landwirtschaftsminister weiter – zum Wohl der Fische, aber auch zum Wohl von Planungssicherheit und Wirtschaft: „Ohne den MSC wären wir in der Europäischen Fischereipolitik vermutlich noch heute in der Überfischungsspirale. So haben wir jedoch seit 2013 eine moderne Grundverordnung, die klar auf Nachhaltigkeit setzt. Das Wirken des MSC war hier eine entscheidende Triebkraft, und Grundsätze des MSC sind in das Europarecht eingegangen – das ist ein riesiger Erfolg.“ Heike Vesper, Leiterin des Internationalen WWF-Zentrums für Meeresschutz, sieht dies ähnlich: „Das MSC-Siegel hat in 20 Jahren viel verändert – im Verhalten und im Bewusstsein, bei Verbrauchern und bei Fischereien. Der MSC hat Bewegung und Transparenz in eine verschlossene Branche gebracht.”
Armutszeugnis für die Politik
Begonnen hatte der Kampf um eine nachhaltigere Fischerei mit einer Katastrophe: 1992 brach der einst riesige Kabeljaubestand vor der Ostküste Kanadas als Folge jahrzehntelanger Überfischung zusammen. Das ökologische Desaster, das mit dem Verlust von 35.000 Arbeitsplätzen auch gravierende sozioökonomische Folgen hatte, machte klar: Politik und Umweltschutz alleine waren nicht in der Lage, die industrielle Fischerei in nachhaltige Bahnen zu lenken. So wurde der MSC gegründet – „was dem Ausstellen eines Armutszeugnisses für die Politik gleichkam, die damals wie heute viel zu wenig gegen die Vernutzung der Meere tat“, mahnt Robert Habeck. Als unabhängige, gemeinnützige Organisation sollte der MSC den Markt mit ins Boot holen und ihn mit Umweltschutz und Fischerei an einen Tisch bringen. Angebot und Nachfrage, so die Idee, sollten helfen, die weltweite Fischerei auf nachhaltige Beine zu stellen: Je mehr Verbraucher nachhaltige Produkte wollen und je mehr sich Handel und Hersteller verpflichten, nachhaltige Produkte ins Sortiment zu nehmen, umso größer würde auch der wirtschaftliche Anreiz für Fischereien sein, auf nachhaltige Fischerei zu setzen. Hat diese Idee gehalten, was sie versprach?
Marktmechanismen zu Gunsten der Meere nutzen
Handel, Hersteller und Fischereien waren zunächst wenig begeistert: Auflagen und Kontrollen, andere Arbeitsweisen und Einkaufspolitiken, all das verbunden mit Aufwand und Kosten. Doch die Überzeugungsarbeit des MSC zahlte sich aus: Handel und Hersteller zeigten insbesondere in Deutschland, Österreich und der Schweiz eine klare Bereitschaft zum Wandel. Viele deutsche Einzelhändler und Marken haben heute die Selbstverpflichtung auf ein nachhaltiges Fischsortiment in ihrer CSR- und Einkaufspolitik festgeschrieben. 5.000 MSC-zertifizierte Fischprodukte sind mittlerweile auf dem deutschen Markt, laut Umweltbundesamt rund 60% des hiesigen Fischangebots. 315 Fischereien sind zertifiziert, weitere 86 in Bewertung - in 36 Ländern rund um den Globus. Auch auf der anderen Seite der Kasse, beim Verbraucher, ist Nachhaltigkeit zunehmend zum Einkaufskriterium geworden. Mehr als 70% der deutschen Konsumenten sind sich der Gefährdung unserer Fischbestände bewusst und wissen um die Bedeutung nachhaltigen Konsums – das blaue MSC-Siegel macht es ihnen leicht, entsprechend zu handeln. Es lässt sie nachhaltige Fischprodukte auch ohne vorheriges Fachwissen über Fanggebiete, Fischbestände oder Fanggeräte erkennen.
Positive Veränderungen unter Wasser
Doch am Ende ist das eigentliche Resultat, an dem sich der Erfolg des MSC bemessen lassen kann, der verbesserte Zustand unserer Meere und Fischbestände. Mehr als 1.200 messbare positive Veränderungen der Fischereien benennt der aktuelle MSC-Fortschrittsbericht, der kürzlich zur UN Meereskonferenz veröffentlicht wurde: Weniger Überfischung, weniger Beifang, mehr Schutzgebiete, stärkere Kontrollen und detailliertere Forschung. „Der Abwärtstrend“, so Meereswissenschaftler Christopher Zimmermann, „ist gebremst, vor allem in den nördlichen Breitengraden. Eine globale Trendumkehr gibt es jedoch noch nicht“.
Herausforderungen und Kritik: Das Ringen um die Balance
Trotz der positiven Entwicklungen rund um eine nachhaltige Fischereiwirtschaft gibt es für den MSC und seine Partner noch reichlich Arbeit: Noch immer gelten 30 Prozent der weltweiten Fischbestände als überfischt und mit einem Anteil von 12 Prozent an der weltweiten Fangmenge ist MSC-zertifizierter Fisch nach wie vor ein Nischenprodukt. „Unser Ziel ist es, den Anteil nachhaltiger Fischerei bis 2020 auf 20 Prozent und bis 2030 auf über 30 Prozent zu steigern“, erklärt MSC-Chef Rupert Howes.
Das Ringen um die Balance zwischen Umweltschutz und Wirtschaft wird dabei auch weiterhin zum Wesen des MSC gehören – aber es ist schwieriger geworden. Um aus der Nische herauszutreten und großflächige Veränderungen für unsere Meere zu erwirken, müssen nun zunehmend auch Fischereien ins Visier genommen werden, die eine schwierige Geschichte hinter sich haben oder emotional geladene Diskussionen heraufbeschwören, wie etwa die jüngst zertifizierte mexikanische Thunfischfischerei. „Diese Fischerei hat ihren Delfinbeifang von 150.000 Tieren pro Jahr auf einige Hundert Tiere pro Jahr reduziert. Die Zertifizierung ist aus wissenschaftlich-biologischer Perspektive völlig legitim – berührt aber die emotionale Frage des Delfinbeifangs. Das ist ein Spannungsfeld, in dem der MSC sich derzeit bewegt“, so Stefanie Kirse, Leiterin des MSC in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Meereswissenschaftler Christopher Zimmermann, der als Leiter des Thünen Instituts für Ostseefischerei und deutscher Vertreter des Internationalen Rates für Meeresforschung auch im technischen Betrat des MSC sitzt, ist jedoch überzeugt: „Indem man in solche Fischereien geht, lassen sich die weitreichendsten Verbesserungen für unsere Meere erreichen.“
Die nachhaltige Reise geht weiter gen Süden
Der MSC hat das Ziel für die nächsten 20 Jahre klar vor Augen: Langfristig soll der Großteil aller Fischereien der Welt auf nachhaltigem Niveau arbeiten. Daher wird ein Schwerpunkt in den kommenden Jahren auf der Förderung von Fischereien in Schwellen- und Entwicklungsländern liegen. Stefanie Kirse: „Während sich viele Fischbestände in mittleren und hohen Breitengraden in den vergangenen 20 Jahren dank nachhaltigerer Fischerei erholen konnten, müssen wir die uns zur Verfügung stehenden Mittel nun verstärkt dafür einsetzen, andere Weltregionen, die für den eigenen Lebensunterhalt sehr stark vom Fischfang abhängig sind, auf ihrem Weg zu mehr Nachhaltigkeit und damit Zukunftsfähigkeit zu unterstützen.“ Mindestens ebenso viel Arbeit und Aufklärungsbedarf, ergänzt Rupert Howes, stehe auch in Südeuropa, Japan und Südkorea bevor.
Wunschliste für die Zukunft
Die Nachhaltigkeits-Wunschliste an den MSC ist noch lang: Einen leichteren MSC-Zugang für kleine Fischereien, „damit die am Ende nicht die Dummen sind“, wünscht sich Robert Habeck. Er wirft einen Soli-Beitrag in die Runde, den große Fischereien zahlen könnten, um kleinen das aufwendige und damit kostenintensive Begutachtungsverfahren zu ermöglichen. Die EU-Abgeordnete und Fischereiexpertin Ulrike Rodust wiederum wünscht sich, dass nach dem Handel nun doch zunehmend auch die Gastronomie ausweisen müsse, ob ihr Fisch aus nachhaltiger Quelle stamme oder nicht. Umweltschutz-Expertin Heike Vesper hofft vor allem, dass das Wachstum des MSC nicht zu einer Aufweichung seines Umweltstandards führe und die Organisation weiterhin genau hinschaue. Und mit einem Seitenblick auf die Erwartungshaltung der Verbraucher schließt Iglo-Chefin Antje Schubert die Runde: „Verbraucher in Deutschland erwarten heute, dass ihr Fisch nachhaltig ist. Sie wollen wissen, wie ihr Fisch heißt und auch, wie der Fischer heißt, der ihn gefangen hat. Doch gleichzeitig soll der Fisch nur 99 Cent kosten“. Ein weiteres Spannungsfeld im Ringen um eine nachhaltige Fischerei.