Die meisten Fangschiffe weltweit setzen auf Akustik, um ihre Beute zu finden, doch die traditionellen Thunfischfischer auf den Malediven bevorzugen immer noch die eigenen Augen. Eine technisch hoch entwickelte Echolot-Ausstattung ist ihnen nicht annähernd so wichtig wie ein gutes Fernglas. Der Blick in die Ferne wird dem Lauschen in die Tiefe ganz klar vorgezogen.
Es ist also nicht ein Piepton auf dem Bildschirm, der die Crew der Kan’du Roalhi auf einen Thunfischschwarm aufmerksam macht, sondern grau-schwarze Flecken am fernen Horizont.
Als sie näherkommen, nehmen die Flecken Form an: Seevögel, die über dem Wasser ihre Kreise ziehen. Die Größe des Vogelschwarms ist ein sicheres Zeichen dafür, dass der Thunfischschwarm darunter ebenfalls groß sein wird.
Als silberne Blitze die vorher stille Meeresoberfläche aufwirbeln, wird das Boot langsamer. Die Crew geht an die Arbeit, stellt das Sprühwasser an und verstreut kleine Fische als Köder im Meer. Das erzeugt die Illusion eines großen Fischschwarms nahe der Wasseroberfläche, wodurch die Thunfische in einen solchen Fressrausch verfallen, dass sie in jedes glänzende, sich bewegende Objekt im Wasser beißen.
Erst wenn der Ozean vor Leben förmlich zu kochen scheint, lassen die Fischer ihre langen, hölzernen Angelruten ins Getümmel. Sobald ein Thunfisch zubeißt, hieven ihn die Fischer, die Schulter an Schulter am Heck des Bootes stehen, einen nach dem Anderen über ihre Köpfe hinweg auf das Deck hinter sich.
Angelrutenfischerei
Diese Fangmethode nennt man Angelrutenfischerei - eine jahrhundertealte Technik, um Thunfisch zu fangen. Man geht davon aus, dass sie ursprünglich von den Malediven stammt.Da die Fische einzeln gefangen werden, gibt es bei dieser Methode nur wenig unerwünschten Beifang. Gleichzeitig wird nur ein kleiner Teil des gesamten Thunfischschwarms gefangen, sodass der Fischereidruck auf den gesamten Bestand gering bleibt.
Eine wichtige Zusammenarbeit
Nicht jeder an Bord der Kan’du Roalhi ist Fischer. Ibrahim Nadheeh hat in seinem Leben noch nicht einen einzigen Thunfisch gefangen. Stattdessen arbeitet er hinter den Kulissen, um wichtige Informationen über die Fischerei zu sammeln: zum Beispiel über die Größe und Anzahl der gefangenen Fische, welche Fischarten als Köderfische verwendet werden und wie treibstoffsparend das Boot ist. Er ist Mitarbeiter der International Pole and Line Foundation (IPNLF), einer internationalen Organisation, deren Ziel es ist, die Fischerei mit Angelruten zu unterstützen und weiterzuentwickeln. In dieser Rolle sammelt er die Daten als Grundlage für zukünftige Management- und Best-Practice-Maßnahmen. So wird sichergestellt, dass der mit Angelruten gefangene Echte Bonito eine nachhaltige Zukunft hat.
Ibrahim ist ein erfahrener Fischereiaufseher, der schon mehr als 100 solcher Überwachungsreisen absolviert hat. Rund ein Drittel seiner Zeit verbringt er auf See. Ein normaler Arbeitstag beginnt für ihn um 22 Uhr abends mit der nächtlichen Suche nach Köderfischen und endet gegen 14 Uhr am nächsten Tag, wenn das Boot an die Küste zurückkehrt, um seinen Thunfischfang abzuladen.
Er ist das Bindeglied zwischen den Fischern und dem Fischerei-ministerium. Eine enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit ist deshalb enorm wichtig.
Die Weltmeister in der Angelrutenfischerei
Es gibt viele Thunfischfischereien auf den Malediven. Nach dem Tourismus ist das der wichtigste Industriezweig der Inselgruppe. Etwa ein Drittel der Bevölkerung hat in irgendeiner Weise mit der Fischerei zu tun – auf abgelegenen Inseln beträgt der Anteil sogar bis zu 70 Prozent. In einem Land, das zu 99 Prozent aus Ozean besteht, gibt es nur wenig Platz für Landwirtschaft oder Viehhaltung. Das bedeutet, dass Thunfisch eine der wenigen Proteinquellen vor Ort und üblicherweise in jeder Mahlzeit enthalten ist.
Thunfisch wird auf den Malediven immer mit traditionellen Methoden gefangen, die äußerst geringe Auswirkungen auf das Ökosystem haben – wie eben das Fischen mit Angelruten. Außerdem dürfen ausländische Fangschiffe nicht in den maledivischen Gewässern fischen, sodass die lokalen Gemeinden wirtschaftlich am meisten profitieren.
All das macht die Fischerei zu einer sehr begehrten Berufswahl auf den Malediven.
Ibrahim erklärt, dass die Fischerei in früheren Zeiten eher als eine schlechte Arbeit mit geringem Einkommen betrachtet wurde. „Das hat sich inzwischen wirklich geändert. Jeder weiß, dass es den Fischern sehr gut geht“, sagt er. „Sie haben es deutlich besser als viele Menschen in anderen Berufen. Sie arbeiten flexibel, unabhängig und haben ein sehr gutes Einkommen.“
Die Fangmethoden mögen traditionell sein, die Fischerboote selbst sind alles andere als das. Viele der Boote sind mit Klimaanlagen, Fernsehern und anderen Unterhaltungssystemen sowie Waschmaschinen ausgestattet. Die Konkurrenz um einen Platz an Bord ist dementsprechend groß.
Thunfisch durch Zertifizierung schützen
Wenn man sich das große Engagement für Nachhaltigkeit anschaut, ist es nicht überraschend, dass die Thunfischfischerei der Malediven ihre MSC-Zertifizierung bereits 2012 erhalten hat.
Heute findet der größte Teil der zertifizierten Fänge seinen Weg in die Thunfisch-Produkte von verantwortungsbewussten Herstellern und Handelsketten weltweit, wie Albert Heijn, Carrefour, Edeka, Followfood, Migros, Rewe oder Sainsbury’s.
Den Fischern gefällt die Aufmerksamkeit, die sie durch die MSC-Zertifizierung erhalten. Mit ihr hat sich der Blick der Welt auf die Fischerei verändert. Das inspiriert sie dazu, sogar noch mehr als zuvor auf ihre Fänge zu achten, sagt Ibrahim. Resultat sind deutlich verbesserte Managementpraktiken mit effizienteren Arbeitsabläufen bei gleichzeitig steigender Qualität.
Für Martin Purves, den Geschäftsführer des IPNLF, der internationalen Organisation für Angelrutenfischerei, war die Annahme der Regeln ein bahnbrechender Moment für das verantwortungsvolle Management der weltweiten Thunfischfischerei.
“Das ist weltweit die erste Regelung für kontrollierte Fischerei auf Thunfisch, die umgesetzt wird, bevor die Bestände überfischt sind. Das bestätigt den nachhaltigen Ruf der MSC-zertifizierten Handangelfischerei auf den Malediven.”
Ibrahim stimmt zu. Die Dinge entwickeln sich in die bestmögliche Richtung, sagt er.
Doch das bedeutet nicht, dass die Branche nicht auch zahlreichen Herausforderungen gegenübersteht. 80 Prozent des Landes liegen weniger als einen Meter über dem Meeresspiegel. Damit sind die Malediven besonders anfällig für die Auswirkungen des Klimawandels. Und da Thunfische über große Entfernungen wandern, können die Bestände in den maledivischen Gewässern auch von Überfischung in anderen Gegenden stark getroffen werden.
Doch Ibrahim bleibt optimistisch. Für ihn ist diese Generation umweltbewusster als alle anderen zuvor. Die Fischerei ist über Hunderte von Jahren von einer Generation zur nächsten weitergegeben worden und das macht ihn zuversichtlich, dass sie dank der innovativen Mischung aus traditionellen Techniken und modernem Fischereimanagement auch noch in ferner Zukunft fortbesteht.