- Fischereien im Nordostatlantik vor Verlust des MSC-Umweltsiegels
- Weitreichende Folgen für den deutschen Markt zu erwarten
- Höchste Zeit für politische Einigung
Einige der reichsten Länder der Welt – Norwegen, Island, die EU, Großbritannien, Grönland und Russland – sind gemeinsam für die Bewirtschaftung einiger der größten, ökologisch und ökonomisch bedeutenden Schwarmfischbestände im Nordostatlantik verantwortlich. Doch obwohl sie national jeweils über gut kontrollierte Fischereiflotten verfügen, tun sie sich mit ihrer internationalen Verantwortung schwer: Seit Jahren ringen sie erfolglos um einen gemeinsamen Bewirtschaftungsplan und eine Fangquotenvereinbarung.
Stattdessen legen alle Beteiligten ihre ganz eigenen Fangmengen fest – mit der Folge, dass diese nordostatlantischen Fischbestände deutlich über der von der Wissenschaft empfohlenen Fangmenge befischt werden. 2019 lag die Gesamtfangmenge des atlanto-skandischen Herings bei 777.000 Tonnen – ein Drittel über der vom Internationalen Rat für Meeresforschung (ICES) empfohlenen Menge. Auch dieses Jahr, so der jüngste ICES-Bericht vom 30. September, ist erneut mit einer Überschreitung der wissenschaftlich empfohlenen Fangmenge um 32 Prozent zu rechnen [1].
Regierungen verhandeln im Oktober – MSC drängt und hofft auf positive Resultate
Diese Woche hat das Jahrestreffen der nordostatlantischen Küstenstaaten begonnen, ab dem 19. Oktober wird dort über den atlanto-skandischen Hering verhandelt. Eine Chance für die beteiligten Regierungen, das Problem der fehlenden Einigung auf verbindliche Höchstfangmengen zu lösen und den künftigen Schutz der so wichtigen wie weitwandernden Schwarmfischbestände im Nordostatlantik zu gewährleisten.Erin Priddle, MSC-Programmdirektorin für Nordeuropa, sagt: „Wir appellieren an die Teilnehmer des internationalen Regierungstreffens im Oktober, sich zu einer Quotenaufteilung zu verpflichten, die der wissenschaftlichen Empfehlung entspricht. Nur so können wir die Stabilität des atlanto-skandischen Heringsbestands kurz-, mittel- und langfristig gewährleisten. Einzelne Fischereien betreiben einen enormen Aufwand, ihre Nachhaltigkeit zu verbessern. Doch alleine können sie es nicht schaffen. Weit wandernde Fischbestände, wie der des atlanto-skandischen Herings, achten nicht auf Landesgrenzen. Daher benötigen wir internationale Vereinbarungen, die Ökosysteme als Ganzes und entlang wissenschaftlicher Richtlinien managen, anstatt die Fischerei national zu verwalten.”
Tiefgreifende Auswirkungen für den deutschen Markt
In Deutschland ist Hering nach Lachs, Alaska Seelachs und Thunfisch die viertbeliebteste Fischart. Ein großer Teil des hierzulande verkauften Herings kommt aus nachhaltiger, MSC-zertifizierter Fischerei – allein im Einzelhandel waren es im vergangenen Jahr knapp 100.000 Tonnen.Der Bezug von Fisch und Fischprodukten aus nachhaltiger Quelle ist mittlerweile ein fester und zunehmend wichtiger Bestandteil der Einkaufspolitik fast aller deutschen Einzelhändler. Auch in der Erwartung der VerbraucherInnen ist Nachhaltigkeit fest verankert: Laut einer aktuellen Umfrage finden 81 Prozent, dass Supermärkte alle Produkte mit nicht nachhaltig gefangenem Fisch aus ihrem Angebot nehmen sollten [2].
Wenn nach dem Ostsee-Hering nun auch der atlanto-skandische Hering, welcher rund 50 Prozent des gesamten MSC-zertifizierten Heringsvolumens ausmacht, das blaue Umweltsiegel verliert, weil seine langfristig nachhaltige Befischung ohne verbindliche Fangmengenregelungen nicht möglich ist, so hat dies weitreichende Implikationen für den Markt. Werden Einzelhändler und VerbraucherInnen in Zukunft weniger Hering anbieten respektive kaufen, oder werden sie sich für Hering aus nicht nachhaltigem Fang entscheiden?
Die unglückliche Geschichte eines großen Bestands darf sich nicht wiederholen
Obwohl die Bestände kleiner pelagischer Fischarten, wie der Hering, oft groß sind, schwanken sie von Natur aus und können durch schlechte Jahrgänge, aber auch durch den zunehmenden Klimawandel, stark beeinträchtigt werden. Dass sie zusammenbrechen können, wenn sie längere Zeit überfischt werden, zeigt die Historie des atlanto-skandischen Herings selbst: Der Bestand, der einst zu den größten der Welt gehörte, brach in den 1960er Jahren infolge jahrelanger Überfischung zusammen. Ganze 20 Jahre dauerte es damals, bis er sich wieder erholt hatte.Heute geht es darum, eine Wiederholung dieser Geschichte zu vermeiden. Ohne ein gutes Bestandsmanagement, das alle Fangnationen miteinbezieht, ist die Gefahr der Überfischung real. Sofern die Staatengemeinschaft ein solches Management weiterhin nicht gewährleistet, werden am 30. Dezember 2020 sämtliche Fischereien auf Blauen Wittling und atlanto-skandischen Hering ihr MSC-Zertifikat für nachhaltigen Fischfang verlieren. So wie 2019 bereits die nordostatlantischen Makrelenfischer.
[1] ICES advice on fishing opportunities, catch and effort for Northeast Atlantic and Arctic Ocean ecoregions (2020)
[2] Repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts GlobeScan im Frühjahr 2020, im Auftrag des MSC