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Von Klimawandel bis Überfischung: Der Tag des Artenschutzes weist am 3. März 2019 auf die prekäre Lage der Meere hin

Von Dr. Roland Knauer

Weit draußen, ein paar Hundert Kilometer vor der Küstenwüste Namibias, holen Wissenschaftler ihre Netze aus den Tiefen des Süd-Atlantiks an Bord des Forschungsschiffes „Sonne“ und staunen wieder einmal über das wimmelnde Leben, das ihnen in die Maschen gegangen ist: Ein durchsichtiger Kalmar mit rosa Punkten und rabenschwarzen Augen, eine Tiefsee-Garnele im leuchtenden Feuerwehr-Rot, ein Viperfisch mit Bronze-metallic-farbenen Schuppen und übergroßem Maul samt langen und gebogenen Fangzähnen – und vor allem immer wieder Tiere, die noch nie zuvor ein Wissenschaftler beschrieben hat.

Weit mehr als 200.000 Arten haben Forscher in den Weltmeeren bisher identifiziert, vermutlich Millionen sind ihnen durch die Maschen geschlüpft, von denen jedes Jahr ungefähr 2.000 Arten von Wissenschaftlern entdeckt und erstmals beschrieben werden.

Wer bisher unbekannte Arten entdecken will, sollte also statt Expeditionen in den tropischen Regenwald lieber Fahrten auf Forschungsschiffen planen. Und sich dabei sputen, schließlich nehmen eine ganze Reihe von Gefahren, von Überfischung über Verschmutzung bis zum Klimawandel samt steigenden Temperaturen, wachsender Versauerung und sinkendem Sauerstoff-Gehalt, die Artenvielfalt unter Wasser in die Zange.

World Wildlife Day 2019 ganz im Zeichen der Ozeane

Es war also höchste Zeit, dass die Vereinten Nationen (UN) den Tag des Artenschutzes am 3. März im Jahr 2019 unter das Motto „Leben unter Wasser: Für die Menschen und den Planeten“ gestellt haben.

Im Zentrum der Probleme unserer Meere steht nach wie vor die Überfischung, unter der nach einem Bericht der Welternährungsorganisation FAO im Jahr 2016 rund ein Drittel der Bestände in den Weltmeeren und nach einer Schätzung des UN-Tages der Artenvielfalt etwa 40 Prozent der Ozeane stark leiden.

Fisch für Fisch: Zertifizierte Fischer in den Gewässern der Malediven

Foto: Fisch für Fisch - Zertifizierte Fischer in dern Gewässern der Malediven

Überfischung im Rahmen kommerzieller Fischerei hat direkt nicht sehr viel mit Artensterben oder Artenverarmung zu tun – im Gegenteil: Bei Überfischung werden bestimmte Bestände (nicht Arten!) mit sehr hohen Individuenzahlen reduziert. Doch vielleicht gibt es indirekt über den Beifang oder Zerstörung der Lebensräume eine Reduzierung der Artenzahlen.

Weltweit geriet die Überfischung in die Schlagzeilen, als 1992 die Kabeljaubestände in einem der reichsten Fischgründe der Welt vor der kanadischen Insel Neufundland im Nordatlantik nach jahrelanger Überfischung zusammenbrachen – und sich bis heute nicht wieder erholt haben. 35.000 Fischer und Beschäftigte in der fischverarbeitenden Industrie verloren damals fast über Nacht ihren Job.

Gleichzeitig aber gab diese Katastrophe 1997 den Anstoß für die Gründung des MSC, der sich seither auf die Fahnen geschrieben hat, in kommerziellen Fischereien nicht mehr Fische aus einem Bestand zu entnehmen, als wieder nachwachsen können. Inzwischen arbeiten weltweit mehr als 300 Fischereien nach diesem Standard und haben ein MSC-Zertifikat. Heute werden 13 Prozent der weltweiten Fischfänge nach den Regeln des MSC-Standards aus dem Wasser geholt.

Diese nachhaltige Fischerei kann zwar die Überfischung von Beständen in der Zukunft verhindern helfen, repariert aber nicht die Sünden der Vergangenheit. Ob und wann sich die Kabeljaubestände vor Neufundland also von ihrem Zusammenbruch 1992 wieder erholen, steht nach wie vor in den Sternen. 

Klimawandel: Temperaturanstieg in den Meeren

Den enormen Einfluss der Überfischung zeigt eindrucksvoll eine Untersuchung zu den Auswirkungen des Klimawandels, die Christopher Free von der Rutgers University in New Brunswick im US-Bundesstaat New Jersey und seine Kollegen gerade in der Fachzeitschrift Science (Band 363, Seite 979; zum Abstract) vorstellen.

Demnach haben steigende Temperaturen in den Weltmeeren bereits heute bei etlichen Beständen von Fischen, Krebstieren, Muscheln und Tintenfische  zu Rückgängen geführt und nur bei einigen zur Vergrößerung des Bestands. Schließen die Forscher alle anderen Faktoren aus und berücksichtigen nur den Einfluss steigender Temperaturen, sind dadurch weltweit zwischen 1930 und 2010 die höchstmöglichen nachhaltigen Fangmengen im Durchschnitt um 4,1 Prozent zurück gegangen.

Dabei hat scheinbar die Überfischung die Widerstandskräfte gegen die Veränderungen geschwächt, die der Klimawandel mit sich bringt. Besonders viele schwindende Bestände finden sich jedenfalls in überfischten Regionen wie der Nordsee und den Gewässern Ost-Asiens. Dort betrug der Rückgang der nachhaltigen Fangmengen 15 bis 35 Prozent und lag damit vielfach höher als die durchschnittlichen 4 Prozent.

Ob der Einfluss von „Überfischung“ auf die „nachhaltigen Fangmengen“ wirklich ein unabhängiger Kausalzusammenhang sein kann, ist dennoch fraglich.

Ernährung für Milliarden: Fisch als wichtige Proteinquelle

Es sind jedoch fraglos schlechte Nachrichten für die Welt-Ernährung. Immerhin liefern die Weltmeere für die Ernährung von 3,2 Milliarden Menschen im Durchschnitt 20 Prozent der tierischen Proteine, erklärt Éva Plagányi von der Wissenschaftsorganisation CSIRO in Brisbane in Australien ebenfalls in der Zeitschrift Science (Band 363, Seite 930). Obendrein handelt es sich dabei um Proteine, die für den Organismus besonders wertvoll sind.

Noch gar nicht berücksichtigt haben die Forscher weitere massive Auswirkungen des Klimawandels, wie die Versauerung des Wassers und den schwindenden Sauerstoffgehalt auf das Leben in den Meeren. Ebenso fehlen in ihren Studien Umweltverschmutzungen wie zum Beispiel Ölkatastrophen bei Großtanker-Havarien oder Unfällen bei Öl- und Gasförder-Inseln im Meer wie der Deep Water Horizon im Golf von Mexiko.

Der Leiter des UN-Entwicklungsprogrammes, Achim Steiner, nennt darüber hinaus auch den Plastikmüll, von dem jedes Jahr geschätzte fünf bis zwölf Millionen Tonnen in den Meeren landen und der eine ganze Reihe von Organismen stark gefährdet. Offensichtlich schweben also die Weltmeere und damit ein zentraler Pfeiler der Welternährung in großer Gefahr.

Der Kampf gegen die Überfischung, den der MSC vor mehr als zwanzig Jahren begonnen hat, kann also nur der Anfang der Rettungsmaßnahmen sein.


Der Naturwissenschaftler Dr. Roland Knauer lebt und arbeitet als Wissenschaftsautor in Brandenburg. Seine Texte erscheinen in Tageszeitungen wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Wiener Zeitung und dem Tages-Anzeiger in Zürich und in Magazinen wie Spektrum der Wissenschaft und Bild der Wissenschaft. Gemeinsam mit seiner Kollegin Kerstin Viering hat er mehr als ein Dutzend populärwissenschaftliche Bücher geschrieben und stellt seine Arbeit unter www.naturejournalism.com vor.